Spuk in Bly Manor – Zwischen Gänsehaut und leiser Melancholie

Nach dem überwältigenden Erfolg von “Spuk in Hill House” stand Netflix vor einer heiklen Aufgabe: Wie folgt man einem Meisterwerk, ohne sich selbst zu kopieren? Die Antwort liegt in “Spuk in Bly Manor” – einer Serie, die bewusst einen anderen Weg einschlägt und dabei ihre ganz eigene, faszinierende Identität entwickelt.

Wer hier denselben intensiven Familien-Horror wie bei Hill House erwartet, wird zunächst überrascht sein. Bly Manor wählt einen leiseren, melancholischeren Ton – und gerade darin liegt sowohl seine größte Stärke als auch sein größtes Wagnis. Statt auf rohe Angst zu setzen, erschafft die Serie eine atmosphärische Symphonie aus Spukgeschichte, Charakterdrama und romantischer Tragödie.


Eine Geschichte von Geistern und Geheimnissen

(spoilerfrei)

Im Zentrum der Handlung steht Dani Clayton, eine junge Amerikanerin, die zu Beginn der 1980er-Jahre eine Stelle als Kindermädchen auf dem englischen Landgut Bly Manor annimmt. Was zunächst wie ein idyllischer Neuanfang in malerischer Umgebung wirkt, entpuppt sich schnell als etwas weitaus Komplexeres.

Das weitläufige viktorianische Anwesen beherbergt zwei Halbwaisen – die eigenwillige Flora und ihren undurchschaubaren Bruder Miles – sowie ein Ensemble faszinierender Erwachsener: die warmherzige Haushälterin Hannah, den charmanten Koch Owen und die geheimnisvolle Gärtnerin Jamie. Jede dieser Figuren trägt ihre eigenen Geschichten und Geheimnisse, die sich nach und nach zu einem vielschichtigen Narrativ verweben.

Doch Bly Manor ist mehr als nur ein pittoresker Arbeitsplatz. Das Haus selbst scheint lebendig zu sein – nicht auf die aggressiv bedrohliche Art von Hill House, sondern subtiler, melancholischer. Hier sind Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verwoben, und manche Bewohner haben das Anwesen nie wirklich verlassen.

Die Serie entfaltet ihre Geschichte in eleganten Zeitsprüngen, die nach und nach die Schichten der Vergangenheit freilegen. Durch geschickt platzierte Rückblenden erfahren wir von den früheren Bewohnern des Hauses, von Liebe und Verlust, von Entscheidungen, die über den Tod hinaus nachwirken. Dieser Erzählansatz erfordert Geduld vom Publikum, belohnt diese aber mit einer emotionalen Tiefe, die weit über typische Genre-Grenzen hinausgeht.


Meisterhafte Inszenierung trifft auf emotionale Komplexität

Visuell ist Bly Manor ein absoluter Traum. Das Produktionsdesign erschafft ein Anwesen, das gleichzeitig märchenhaft schön und unterschwellig bedrohlich wirkt. Jeder Raum erzählt seine eigene Geschichte – von den lichtdurchfluteten Gärten bis zu den düsteren Dachkammern. Die Kameraführung ist poetisch und zurückhaltend, sie lässt Räume atmen und gibt den Charakteren Zeit, ihre Emotionen zu entwickeln.

Im Gegensatz zu Hill House setzt Bly Manor weniger auf Schockmomente und mehr auf atmosphärische Dichte. Die übernatürlichen Elemente schleichen sich leise ins Geschehen ein: ein Schatten, der zu lange verweilt, eine Gestalt am Ende des Korridors, ein Gesicht im Fenster, das im nächsten Moment verschwunden ist. Diese subtile Herangehensweise verstärkt das Gefühl unheimlicher Schönheit, das die gesamte Serie durchzieht.

Darstellerisch glänzt die Serie auf ganzer Linie. Victoria Pedretti verkörpert Dani mit einer bemerkenswerten Mischung aus Verletzlichkeit und innerer Stärke. Ihre Darstellung einer Frau, die vor ihrer eigenen Vergangenheit flieht, nur um sich in den Geheimnissen anderer zu verstricken, ist nuanciert und berührend. Die Kinderdarsteller Amelia Bea Smith (Flora) und Benjamin Evan Ainsworth (Miles) liefern erstaunlich reife Leistungen ab – Flora mit ihrer bezaubernden, aber manchmal verstörenden Unschuld, Miles mit einer Reife, die weit über sein Alter hinausgeht.

Besonders hervorzuheben ist das Ensemble der Erwachsenen: T’Nia Miller als Hannah verleiht der Haushälterin eine würdevolle Komplexität, Rahul Kohli bringt als Owen eine willkommene Leichtigkeit ins düstere Geschehen, und Amelia Eve erschafft in Jamie eine Figur von rauer Zärtlichkeit.

Ein mutiger Schachzug der Serie ist ihr Umgang mit dem übernatürlichen Elements. Die “Geister” von Bly Manor sind weniger Monster als vielmehr Metaphern – für Erinnerungen, die nicht loslassen, für Liebe, die über den Tod hinaus dauert, für Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Diese psychologische Herangehensweise verleiht der Serie eine emotionale Resonanz, die weit über den typischen Genre-Horror hinausgeht.

Allerdings hat diese Herangehensweise auch ihren Preis: Manche Episoden, besonders in der Staffelmitte, nehmen sich sehr viel Zeit für Charakterentwicklung und Hintergrundgeschichten. Während diese Episoden später entscheidend für die emotionale Wirkung sind, können sie den Erzählfluss verlangsamen. Zuschauer, die auf konstante Spannung hoffen, könnten hier ungeduldig werden.


Ein anderes, aber ebenso faszinierendes Geisterhaus

“Spuk in Bly Manor” ist weniger eine Horror-Serie im traditionellen Sinne als vielmehr ein atmosphärisches Drama mit übernatürlichen Elementen. Die Serie erfordert Geduld und Bereitschaft, sich auf einen langsameren, kontemplativeren Rhythmus einzulassen. Wer diese Geduld aufbringt, wird mit einer außergewöhnlich vielschichtigen Geschichte belohnt.

Die Serie beweist, dass Horror nicht schreien muss, um zu bewegen. Stattdessen arbeitet sie mit leisen Tönen, subtilen Andeutungen und einer Melancholie, die sich tief ins Gedächtnis eingräbt. Die unerwarteten Wendungen kommen nicht als laute Überraschungen daher, sondern als sanfte Verschiebungen der Wahrnehmung, die das Gesehene in völlig neuem Licht erscheinen lassen.

Bly Manor selbst wird zu einem Charakter der Geschichte – einem Ort, an dem Zeit und Erinnerung ihre eigenen Regeln haben. Das viktorianische Anwesen ist gleichzeitig Refugium und Gefängnis, Heimat und Fluch. Diese Ambivalenz durchzieht die gesamte Serie und macht sie zu einem einzigartigen Seherlebnis.

Meine Empfehlung: Für Liebhaber von subtilerem, atmosphärischem Horror ist “Spuk in Bly Manor” ein absolutes Muss. Die Serie mag nicht die rohe Intensität von Hill House besitzen, aber sie entwickelt eine ganz eigene, hypnotische Wirkung. Sie ist ein Beweis dafür, dass die besten Geistergeschichten nicht nur erschrecken, sondern auch berühren.

Wie Flora in einem der schönsten Momente der Serie sagt: Es ist “absolut großartig” – ein Urteil, dem man nur zustimmen kann.

“Spuk in Bly Manor” ist auf Netflix verfügbar.