Die CDU verkauft die Demokratie - Ratenweise

Die CDU ringt derzeit öffentlich mit ihrer eigenen Glaubwürdigkeit – vor allem im Osten des Landes. Während Parteichef und Bundeskanzler Friedrich Merz die „Brandmauer“ zur AfD beschwört, bröckelt sie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an allen Ecken. Was bisher als unantastbares Prinzip galt, wird zunehmend als lästige Fessel betrachtet. Und Menschen wie Marek Wöller‑Beetz, frisch gewählter CDU‑Bürgermeister von Prenzlau, machen aus ihrer Haltung kein Geheimnis: „Das Wort Brandmauer ist für mich ein Fremdwort.“

Die Brandmauer als Fassade

In Prenzlau fiel sie endgültig – die berühmte Brandmauer. Wöller‑Beetz gewann sein Amt mit offener Unterstützung der AfD. Man sprach von „Pragmatismus vor Parteigrenzen“ und tat so, als wären ideologische Grenzen bloß hinderliche Formalitäten. Tatsächlich war es ein politischer Kuhhandel. Der CDU‑Mann suchte vor seiner Kandidatur aktiv um AfD‑Unterstützung; im Gegenzug will er bei der nächsten Landratswahl nicht antreten, um dem AfD‑Kandidaten „freies Geleit“ zu verschaffen. Ergebnis: CDU und AfD bilden in der Stadtverordnetenversammlung eine stabile Mehrheit von 17 zu 28 Sitzen – ganz ohne offiziellen Koalitionsvertrag, aber de facto als Regierungsbündnis.

Währenddessen hält die CDU‑Spitze in Berlin ihr moralisches Schaufenster in Ordnung. Friedrich Merz versichert landauf, landab, es gebe „keine Gemeinsamkeit“ mit der AfD – und dass man mit einer Partei, die gegen EU, NATO und Demokratie wettert, nicht zusammenarbeite. Die Worte klingen stark, doch der Lack blättert schneller, als er neu aufgetragen werden kann. Was bleibt, ist das Bild einer Partei, die sich selbst nicht mehr ernst nimmt.

Merkels Erbe wird verraten

Ausgerechnet die CDU, die unter Angela Merkel noch für eine pragmatische Mitte stand, mutiert zur Steigbügelhalter-Partei des Rechtsextremismus. Was würde Merkel wohl sagen, wenn sie sieht, wie ihre Nachfolger das mühsam aufgebaute Image der „Partei der Mitte“ für ein paar Bürgermeisterposten verscherbeln? Die Antwort dürfte schmerzhaft sein. Die heutige CDU verrät nicht nur ihre eigenen Grundsätze – sie verrät das demokratische Fundament, auf dem Deutschland nach 1945 wiederaufgebaut wurde.

Dabei war es die Union selbst, die nach der Wahl Donald Tusk zum polnischen Ministerpräsidenten noch vor Begeisterung überschlug, weil er die rechtsnationale PiS zurückdrängte. Man feierte die „Rückkehr zur Demokratie in Polen“ – während man zuhause bereits dabei war, genau das Gegenteil vorzubereiten. Diese Doppelmoral ist nicht nur peinlich, sie ist gefährlich.

Ost-CDU im Strudel der Anpassung

Was in Prenzlau passiert, ist kein Einzelfall. Immer mehr ostdeutsche CDU‑Politiker fordern einen neuen Umgang mit der AfD, weil Kommunalpolitik angeblich „andere Realitäten“ kenne. Der sächsische CDU‑Fraktionschef Christian Hartmann will „jenseits von Brandmauerdebatten eigene Positionen finden“, und seine Parteikollegin Saskia Ludwig meint, die AfD müsse „demokratische Rechte wie Ausschussvorsitze“ erhalten. Das ist kein pragmatischer Realismus – das ist geistige Kapitulation vor dem unappetitlichen Erfolg des Rechtspopulismus.

Hier offenbart sich die Verlogenheit der Union: Sie redet vom Schutz demokratischer Werte, während sie im Osten längst in Hinterzimmern Mehrheiten mit AfD‑Hilfe aushandelt. Man will keine Koalition, heißt es – und sitzt dann doch Schulter an Schulter mit jenen, die das Grundgesetz für eine optionale Empfehlung halten. Die CDU spielt ein zynisches Spiel: In Berlin gibt man sich staatstragend, in Brandenburg, Sachsen und Thüringen packt man mit Rechtsextremen aus.

Die Ausrede der „kommunalen Sachpolitik“ ist dabei besonders perfide. Als ob Demokratie an Gemeindegrenzen endet. Als ob lokale Entscheidungen keine Signalwirkung hätten. Als ob man mit Leuten, die „Remigration“ fordern, einfach über Abwasserkanäle plaudern könnte, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Was eine schwarz‑blaue Zukunft bringen würde

Ein offener Schulterschluss zwischen CDU und AfD wäre kein harmloser Tabubruch, sondern eine kulturpolitische Zeitenwende. Eine solche Achse würde Deutschland zurück in alte Denkmuster stoßen: antifeministische Rückschritte, rollende Attacken auf Gleichstellungspolitik, Migrationsfeindlichkeit in Gesetzesform. Die sozialen Sicherungssysteme würden weiter ausgehöhlt, Menschenrechte zur Verhandlungsmasse degradiert – verpackt in den hübschen Slogan der „normalen Bürgerpolitik“.

Hinter dieser Fassade lauert nichts anderes als die stetige Erosion der liberalen Demokratie. Man denke nur an Österreich, wo die ÖVP jahrelang mit der FPÖ koalierte – mit verheerenden Folgen für Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutschland steht jetzt vor derselben Weggabelung.

Die CDU täte gut daran, sich an die Weimarer Republik zu erinnern: Auch damals glaubten bürgerliche Kräfte, sie könnten Extremisten „einbinden“ und „zähmen“. Das Ergebnis ist bekannt. Wer mit Feuer spielt, darf sich nicht wundern, wenn am Ende alles in Flammen steht.

Die Stunde der Entscheidung

Die CDU sollte sich also entscheiden, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen will. Zwischen demokratischer Verantwortung und völkischer Versuchung gibt es kein neutrales Territorium. Wer mit der AfD flirtet, tanzt am Abgrund – und wer so tut, als ginge es nur um „Sachfragen“, macht sich zum nützlichen Idioten einer Partei, die Deutschland in moralische Trümmer legen würde.

Friedrich Merz kann noch so oft beteuern, die Brandmauer stehe fest. Solange seine Parteikollegen im Osten munter Deals mit der AfD aushandeln, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, sind seine Worte nichts als Schall und Rauch. Die CDU muss jetzt beweisen, dass sie mehr ist als eine machtversessene Opportunistenpartei. Sie muss Farbe bekennen – oder den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit verlieren.

Die Demokratie braucht keine Parteien, die ihre Prinzipien je nach Wetterlage austauschen. Sie braucht Standhaftigkeit. Die CDU hatte einmal den Anspruch, diese zu verkörpern. Höchste Zeit, dass sie sich daran erinnert.