Untamed – Netflix-Serie im Yosemite: Zwischen Mord, Mythen und majestätischer Natur

„Untamed” ist eine Serie, die auf Netflix gern mal unter dem Radar läuft. Fast könnte man meinen, der Algorithmus sei selbst durch die Wälder des Yosemite geschickt worden, um sich mitten im Dickicht zu verlieren und dann – wie die Figuren in der Serie – einen Moment lang still zu werden und zu staunen. Denn wer nach hastigen Thrillern oder dem nächsten Serien-Marathon sucht, wird überrascht sein: „Untamed” nimmt sich Zeit. Zeit für knorrige Bäume, gewaltige Felswände und die leisen Töne zwischen den Zeilen – und zeigt dabei, wie spannend es in der Wildnis zwischen Himmel und Granit tatsächlich werden kann.

Worum es geht (ohne Spoiler)

Alles beginnt mit einem Absturz. Zwei Kletterer, eine windige Steilwand des legendären El Capitan im Yosemite-Nationalpark – und plötzlich fällt eine Frau von oben durch ihr Seil hindurch. Die Frage nach Unfall, Selbstmord oder gar Mord steht sofort im Raum. Ranger Kyle Turner (stark und wortkarg: Eric Bana) lässt sich von der Stille der Berge nicht täuschen und übernimmt die Ermittlungen. Unterstützung bekommt er von der jungen, aus Los Angeles stammenden Parkrangerin Naya Vasquez (Lily Santiago), die vor ihrer eigenen Vergangenheit in die kalifornische Wildnis geflohen ist. Bald wird klar: Das traumhafte Naturidyll trügt. Der Tod der Frau ist nur der Auftakt für eine ganze Kette dunkler Geheimnisse.

Während Turner in abgelegenen Hütten, Hippie-Zeltcamps und bei rauen Wildhütern nach Spuren sucht, wächst die Liste der Verdächtigen. War es ein Wilderer? Ein Ranger mit Geheimnissen im Gepäck? Oder haben die illegalen Drogenlabore, die sich im Nationalpark zu verstecken versuchen, doch ihre Finger im Spiel? Die Ermittlungen führen tief ins Herz des Nationalparks – zu flinken Füchsen, alten Wunden und persönlichen Dämonen. Das Drehbuch offenbart dabei schrittweise bröckelnde Helden, verschlungene Lebenswege und tiefe Schuld, ohne je sein größtes Kapital aus der Hand zu geben: die ungezähmte Natur.

Bewertung – persönliche Einschätzung

Für Mystery-Fans mit Hang zu klassischen Whodunits oder actionreichen Crime-Dramas ist „Untamed” eigentlich eine Provokation. Hier gibt es kein ständiges Blutvergießen, keine überdrehten Twists und schon gar keinen temporeichen Bombast. Stattdessen: langsame Kamerafahrten über Nebelfelder, rauschende Wasserfälle, Rehe auf Lichtungen. Die Serie lebt davon, wie sie Atmosphäre aufbaut – Kamera und Musik sorgen dafür, dass selbst ein stumm wachsender Mammutbaum bedrohlicher wirkt als so manches TV-Monster. Gerade weil die Macher Mark L. Smith und Elle Smith dem Nationalpark Platz geben, entstehen knisternde Spannung und eine ungeheure Sogwirkung. Yosemite – dieser Ort zwischen Gestein und Gräsern – ist hier nicht nur Kulisse, sondern ein eigener Handlungsträger.

Die Figuren? Ja, sie sind zuweilen etwas schablonenhaft gezeichnet: der unnahbare Held mit tragischer Vergangenheit, die junge Kollegin mit Fluchtreflex, der knurrige Wildhüter. Man merkt, dass das Skript an einigen Stellen vertraute Motive bedient. Doch weil „Untamed” den Mut hat, auch mal in der Stille zu verweilen und sich auf Details zu konzentrieren, wachsen einem diese Stereotypen mit der Zeit ans Herz. Der eigentliche Kriminalfall verliert zwischendurch an Brisanz – dafür entschädigt das Persönliche: Schuld, Verlust, Verdrängung, kurz das, was Menschen inmitten von Bäumen umtreibt.

Großes Kompliment geht an die Inszenierung. Die Dreharbeiten fanden zwar nicht im echten Yosemite statt (hier war British Columbia, Kanada, das Natur-Double), aber was man zu sehen bekommt, ist trotzdem ein Fest für die Augen: Jeder Sonnenaufgang, jede neblige Lichtung, jeder Ausblick von den Granitklippen inspiriert zum Träumen – und dazu, sich sofort die Wanderschuhe zu schnappen.

Als jemand, der die überwältigende Schönheit des Yosemite-Nationalparks selbst erleben durfte, kann ich sagen: Die Serie fängt die majestätische Atmosphäre dieses besonderen Ortes beeindruckend ein. Die gewaltigen Wasserfälle, die monumentalen Granitwände und die fast mystische Ruhe der Wälder – all das wird in „Untamed” so authentisch dargestellt, dass Erinnerungen an eigene Wanderungen durch das Valley wieder lebendig werden. Wer mehr über die echte Magie dieses außergewöhnlichen Parks erfahren möchte, findet in [meinem ausführlichen Reisebericht zum Yosemite Valley](https://einzigartig-reisen.de/yosemite-valley/) alle Eindrücke und Tipps für einen unvergesslichen Besuch.

Yosemite Valley vom Tunnel View aus

Fazit

„Untamed” ist in vieler Hinsicht ein Gegenentwurf zu Netflix’ gewöhnlichen Serien-Mustern. Es ist mehr Natur- und Seelendrama als Krimi, mehr Meditation als Thriller – und genau darin liegt der Reiz. Wer bereit ist, sich auf den entschleunigten Takt einzulassen, findet hier eine Serie, die von der Schönheit des Ungezähmten lebt und sich traut, leise Töne im lauten Streaming-Wald anzuschlagen.

Eine rundum schöne Idee, spannend inszeniert und – nicht zu vergessen – getragen von immer neuen, traumhaften Landschaftsbildern. Vielleicht ist es ja mal wieder Zeit, selbst in die Weite des Nationalparks einzutauchen? Bis dahin kann „Untamed” zumindest für ein paar Abende Lagerfeueratmosphäre ins Wohnzimmer zaubern und die Sehnsucht nach der unberührten Wildnis Kaliforniens wecken.