Archive 81 auf Netflix beginnt als faszinierendes Mystery-Puzzle, verliert aber im Verlauf an Klarheit. Die Serie startet mit einer packenden Grundidee und vielversprechender Atmosphäre, driftet jedoch zunehmend in verwirrende und surreale Gefilde ab. Was zunächst neugierig macht, lässt einen am Ende ratlos zurück – fast so, als hätten die Drehbuchautoren ab der Mitte den roten Faden verloren.
Ohne zu viel zu verraten: Archive 81 handelt von Dan Turner, einem Archivar, der den Auftrag erhält, eine Sammlung alter, durch einen Brand beschädigter Videokassetten zu restaurieren. Auf diesen Bändern dokumentierte 1994 die Studentin Melody Pendras das Leben in einem geheimnisvollen Apartmentgebäude namens Visser, das später ebenfalls in Flammen aufging. Dan isoliert sich also in einem abgelegenen Archiv und taucht immer tiefer in Melodys Aufnahmen ein. Bald zeigt sich, dass hinter dem Haus und den Videobändern weit mehr steckt als nur Alltagsaufnahmen – ein düsteres Geheimnis um einen Kult und ein verschwundenes Mädchen zieht Dan in einen Strudel aus Rätseln. Archive 81 verknüpft dabei geschickt zwei Zeitebenen: Dans Nachforschungen in der Gegenwart und Melodys Erlebnisse im Jahr 1994. Diese Parallelmontage erzeugt anfangs einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Gruselige VHS-Aufnahmen, verstörende Geräusche und langsam enthüllte Verbindungen sorgen für eine dichte, unheimliche Stimmung. Wer keine Spoiler mag, sei beruhigt: Die Handlung wird hier nur angerissen – es bleibt genug Ungewissheit, um selbst mitzurätseln.
Die ersten Episoden von Archive 81 sind wirklich spannend. Als Zuschauer:in fiebert man mit, entdeckt gemeinsam mit Dan Hinweise und spürt die bedrohliche Aura des Visser-Gebäudes. Die Serie setzt zunächst auf subtile Horror-Elemente und klassische Mystery-Versatzstücke: geheime Videoaufnahmen, verstörte Mieter, Andeutungen eines okkulten Kults im Haus. Diese Mischung funktioniert am Anfang hervorragend – ich ertappte mich dabei, wie ich mit großen Erwartungen jede neue Enthüllung aufsaugte. Doch etwa ab der Halbzeit schwenkt Archive 81 in eine andere Richtung. Anstatt die aufgebauten Mysterien schlüssig aufzulösen, stapeln die Macher immer neue, bizarrere Ideen obendrauf. Plötzlich geht es um noch mehr als Geister und Kulte – es kommen abstruse Visionen, surreale Traumsequenzen und sogar Andeutungen paralleler Welten ins Spiel. Anfangs mochte ich das Durchgeknallte daran; es hat fast schon Lynch’eske Züge, wenn Realität und Alptraum verschwimmen. Aber je näher das Finale rückte, desto stärker beschlich mich das Gefühl: Wissen die selbst noch, wo sie hinwollen? Die Handlung verzettelt sich in zu vielen abgefahrenen Einfällen gleichzeitig. Antworten auf die drängendsten Fragen? Bleiben rar. Stattdessen wird die Geschichte immer verschachtelter und wundersamer – einige mögen sagen überfrachtet.
Natürlich soll Mystery geheimnisvoll sein, aber Archive 81 übertreibt es. Was anfangs clever und subtil war, wird im späteren Verlauf geradezu überladen: Eine Offenbarung jagt die nächste, ein Symbol folgt dem anderen, bis man irgendwann den Überblick verliert. Die Drehbuchautoren haben offenbar alle Hemmungen fallen gelassen und jede noch so verrückte Idee eingebaut, um das Publikum bei der Stange zu halten.
Das Ergebnis? Eine Story, die vor lauter Twists und Mysterien am Ende kaum noch greifbar ist. Man sitzt vor dem Bildschirm wie die Figuren vor ihren Monitoren – fasziniert, aber auch frustriert, weil die ersehnte Auflösung ausbleibt. Selbst als passionierte Mystery-Liebhaberin musste ich mir eingestehen: Archive 81 wirft zu viele Bälle in die Luft und lässt am Ende einige davon fallen. Die Serie hinterlässt ein Wirrwarr an Eindrücken, aber wenig befriedigende Antworten. Hier hätte weniger tatsächlich mehr gewesen – all die guten Ansätze verlieren sich im Chaos der Ideen. Oder um es bildlich zu sagen: Archive 81 ist ein schönes Puzzle, dem am Ende entscheidende Teile fehlen.
Archive 81 bietet einen einzigartigen Genre-Mix aus analogem Horror und okkulter Mystery, der mutig ist und zunächst großartig unterhält. Die Inszenierung – von den VHS-Ästhetiken bis zum Sounddesign – schafft eine unheimliche Atmosphäre, die Lust auf mehr macht. Doch die anfängliche Begeisterung wandelt sich in Ratlosigkeit, weil die Serie ihren narrativen Kompass verliert. Mein persönliches Urteil fällt daher zwiegespalten aus: Hier steckt so viel Potential drin und ich wollte Archive 81 wirklich lieben. Dennoch überwiegt am Ende die Enttäuschung über die erzählerische Unordnung. Schade, denn spannend ist das Ganze allemal – aber Spannung ohne payoff kann eben auch unbefriedigend sein. Wer Mystery-Serien mit Hang zum Absurden mag, kann einen Blick riskieren und sich selbst ein Bild machen. Alle anderen seien gewarnt: Diese Archiv-Akte verlangt Geduld und Nachsicht. Archive 81 zeigt eindrucksvoll, dass „viel“ nicht immer „viel hilft“ – manchmal ist weniger Mystery doch mehr.